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Von der Raserei des Augenblicks der Liebe

30. Juli 2008  |  09:38  |   Gudrun Weinzierl (SN).

„Sidewinder“: Wie die Fotografin Stefanie Schneider aus einer Autofahrt Bildmotive für die Salzburger Festspiele gewann...
 

 

Gudrun Weinzierl
Salzburg (SN).
Ein Mann in weißem Unterhemd, mit roter Krawatte und schwarzem Hut beklei- det, küsst den Hals einer Frau. Dieses Foto wurde für das Plakat und Titelbild des Magazins der Salzburger Festspiele 2008 ausgewählt.

Was hat es mit diesem vampirhaften Kuss auf sich? Dies verrät eine Fotoaus-stellung in den Gängen der Kulturabteilung der Stadt Salzburg (Mozartplatz 5) mit weiteren Bildern der Fotografin Stefanie Schneider. Es ist eine Raserei des Augenblicks, die am Beginn eines riskanten fünfwöchigen Beziehungsexperi- ments steht, aus dem eine Fotoserie mit dem mehrdeutigen Titel „Sidewinder entstanden ist. „Sidewinder“ bedeutet übersetzt sowohl Klapperschlange als auch Rakete.

Das Foto trägt den Titel „Frenzy“, eine Anspielung an Hitchcocks Thriller. Es ent- stand kurz nach dem Kennenlernen des Paares am Treffpunkt vor der Copper Penny Sunday School in Kalifornien.

Stefanie Schneider ist primär Fotografin, doch immer wieder übernimmt sie - etwa für Fotoserien wie ihren 2005 entstandenen und „durchlebten“ Fotoroman „Sidewinder“ - auch die Funktion von Regisseurin und Darstellerin. Als Fotografin für „Sidewinder“ hat sie ihre eigene Schwester engagiert.

Ihren Liebhaber hat sie per Internet gesucht, es ist JD Rudometkin, Poet, Song- writer, Musiker und ehemaliger Prediger. Die Handlung der Fotofolge und der da- zu entstandenen DVD sollte vom Leben der beiden, ihrer Nähe und Distanz, ihren Konflikten, Obsessionen, ihrer Vertrautheit und Fremdheit zugleich bestimmt wer- den und offen bleiben für den Augenblick – bis hin zum letzten Bild, in dem die beiden im offenen Cadillac in die Unendlichkeit des Landes hinausfahren: Rudo- metkin blickt als Fahrer nach vorn, Schneider blickt zurück, dem hinter ihnen Lie- genden zugewandt.

„Sidewinder“ ist die Geschichte einer Autofahrt zwischen dem abgeschiedenen Ort 29 Palms und Los Angeles, eine Geschichte des Unterwegsseins, eine Meta- pher auch für Stefanie Schneiders Leben, das unscharf, porös, in alle Richtungen offen erscheint.

Stefanie Schneider wurde 1968 in Cuxhaven geboren. Seit Abschluss ihres Studi- ums an der Folkwang Schule in Essen lebt sie abwechselnd in Los Angeles und Berlin. Ihre Schauplätze findet sie in kalifornischen Vorstädten, an einsamen Or-
ten, in wüstenartigen Gebieten. Ziel ihrer Untersuchungen ist das amerikanische Leben an der Peripherie, die Träume junger Frauen und stereotyper Männer in weißen Achselshirts. Stefanie Schneiders Personen treten wie Protagonisten ei- nes Roadmovies auf, sind unterwegs, leben in Wohnwagen, begegnen einander in Motels, nützen die Gunst des Augenblicks, stellen keine Fragen nach der Zukunft.

Die Bilder sind verblasst und fleckig, sie wirken überbelichtet und fehlfarben. Für ihre Aufnahmen verwendet Stefanie Schneider ausschließlich Polaroidfilme, die abgelaufen sind. Was üblicherweise als schlechte Bildqualität gilt, hat die Künst- lerin zu ihrem Prinzip erkoren: Der Zufall entscheidet, was erscheinen wird, der fotochemische Prozess ist ungewiss, die Eigendynamik des unkontrollierbaren Materials steht über dem Wollen des Fotografen. Nichts wird verändert, nichts nachbearbeitet. Beständig werden die Polaroids erst, wenn sie im Studio in Ber- lin neu aufgenommen und für ihre Präsentation als C-Print auf Holz oder Alumi- nium stark vergrößert werden.

So sind es nicht ausschließlich das kalifornische Sonnenlicht und die hitzeflim mernde Atmosphäre, die den Aufnahmen Schärfe und Brillanz nehmen, sondern das Material des Films, das diesen Bildern eine Stimmung von Vergangenem, Entrücktem und sich Auflösendem verleiht.

Mit ihrer Methode des Schnappschusses und der unzeitgemäß gewordenen Technik des Polaroids erzeugt Stefanie Schneider malerische Effekte. In den sehr irrealen Szenen um Erotik, Sex und Liebe schwingen das Vergängliche und der Tod mit.

„Sidewinder“. Mozartplatz 5. Die Ausstellung entstand in Kooperation der Galerie Robert Drees, Hannover, mit den Salzburger Festspielen. Bis 29. 8., Mo.– Fr. 12–18 Uhr. © SN/SW